Das 2007 eingeführte Elterngeld gilt als „Erfolgsgeschichte“ – darin sind sich die Politiker einig. Als Errungenschaft gelten besonders die „Vätermonate“: Der Anteil der Väter, die Elternzeit nehmen, ist inzwischen auf fast ein Viertel gestiegen.
Das ist nicht verwunderlich: Wenn nicht auch der Vater eine Auszeit nimmt, verkürzt sich der Elterngeldbezug von 14 auf 12 Monate. Diese zwei Monate Elterngeld wollen viele Väter nicht „verschenken“. Deshalb nehmen sie gerne zwei Monate „Elterngeldzeit“ in Anspruch, zumal sie dennoch bis zu 30 Stunden erwerbstätig sein können. Ihre kurze Auszeit wird großzügig honoriert – sie beziehen im Monat durchschnittlich 1140 €. Der Durchschnittsbezug von Müttern liegt dagegen nur bei 701 € (1) . Der Grund dafür sind niedrigere Erwerbseinkommen, denn das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung: Wer mehr verdient, dem wird auch mehr gegeben.
Diese Umverteilung von unten nach oben widerspricht der sozialen Gerechtigkeit, aber auf die kam es bei der Elterngeldreform nicht an: Bei ihr ging es darum die „richtigen Anreize“ zu setzen: Die Lohnersatzleistung sollte insbesondere gut verdienende Akademikerinnen und ihre Partner animieren, sich für Kinder zu entscheiden. Und gleichzeitig sollten Mütter schneller als bisher in den Beruf zurückkehren, deshalb wurde das frühere, bis zu 24 Monate gezahlte, Erziehungsgeld abgeschafft und so die (vergütete) Elternzeit verkürzt. Die Ausgestaltung des Elterngeldes bedeute “eine deutliche Botschaft an die Mütter, wieder arbeiten zu gehen, sobald die Leistung ausläuft”, stellt eine von der „WELT“ zitierte aktuelle Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung fest (2). In dieser Studie verglichen die Ökonomen rund 5800 Mütter, die 2007 ein Kind bekommen haben, mit einer gleich großen Gruppe von Frauen, die 2006 und damit vor Einführung des Elterngeldes ihr Baby zur Welt brachten.
Und tatsächlich kehrten die „Elterngeld-Mütter“ nach der einjährigen Babypause früher und häufiger in den Erwerbsberuf zurück. In dieser Hinsicht reagierten die Frauen wie von der Politik gewünscht, die „Anreize“ wirkten. Es zeigte sich aber noch ein anderer Effekt: Elterngeld-Mütter bekamen seltener als die übrigen Frauen innerhalb von fünf Jahren nach der Geburt eines Kindes ein weiteres. Für diese Mütter hatte der Beruf Priorität vor der Familienerweiterung. Das Elterngeld fördert also die Ein-Kind-Familie.
Dieser Effekt war absehbar: In der Bundestagsanhörung vor der Einführung des Elterngeldes warnte ein Sozialrechtsexperte, dass die im „Elterngeld angelegte Diskriminierung der Einverdienerfamilie kinderreiche Familien faktisch in besonderem Maße“ benachteiligt, „weil sie häufig nicht auf die ausschließliche Familientätigkeit eines Elternteils verzichten können und dies angesichts ihrer familienfreundlichen Einstellung womöglich auch nicht wollen“. Die „besondere erwerbsbezogene Rationalität des Elterngeldes schließe „mithin kinderreiche Familien typischerweise gerade wegen ihrer Entscheidung für Familie von dieser Maßnahme der „Familienförderung“ aus“ (3). Diese Einschätzung bestätigten die amtlichen Statistiken schon wenige Monate nach Einführung des Elterngeldes. Aus ihnen ergab sich,
“dass insgesamt 44 Prozent der Eltern mit einem Kind, 71 Prozent der Eltern mit zwei, 79 Prozent der Eltern mit drei und 86 (!) Prozent der Eltern mit vier und mehr Kindern maximal 500 € Elterngeld beziehen. Zu den „Gewinnern“ der Elterngeldreform, die 750 € und mehr Elterngeld beziehen, zählen 36 Prozent der Eltern mit einem Kind, 16 Prozent der Eltern mit zwei, 11 Prozent der Eltern mit drei und ganze 7 (!) Prozent der Eltern mit vier Kindern (4)”.
Erziehungstrends kam damals zu dem Schluss, dass die „Elterngeldreform junge Mehrkinderfamilien finanziell massiv benachteiligt“. Im Blick auf den erwerbsbezogenen Lohnersatzmechanismus hieß es an dieser Stelle:
“Das Elterngeld setzt damit Anreize mit Kinderwünschen solange zu warten, bis beide (!) Partner beruflich etabliert sind. Dies wiederum kann in der heutigen Arbeitswelt mit der zunehmenden Verbreitung von Leiharbeit, befristeten Arbeitsverträgen etc. lange dauern. Die Gründung von Familien, insbesondere solchen mit mehreren Kindern, wird so nicht erleichtert (5)”.
Auch dieses Problem war bereits in der Bundestagsanhörung zur Sprache gekommen:
“Aber selbst auf der Grundlage der Prämisse, der Mensch entscheide bei seiner Familienplanung in erster Linie als homo oeconomicus, scheint die konkret gewählte Ausgestaltung nur bedingt geeignet, dieses Ziel (Anm.: mehr Geburten) zu befördern, und könnte sogar teilweise kontraproduktiv wirken. Denn um die Vorteile des Elterngeldes zu optimieren, müßten junge Erwachsene ihre Familiengründung möglichst auf einen späteren Zeitpunkt mit dann höherem Einkommen verschieben, zu dem biologische Gründe sie jedoch zu einem Verzicht auf (mehrere) Kinder zwingen könnten (6)”.
Schon bald bestätigten die amtlichen Zahlen diese Kritik, wie das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie 2009 darstellte:
“Während etwa ein Fünftel der 30-40-Jährigen Mütter Anspruch auf mindestens 1000 € Elterngeld haben, trifft dies auf weniger als ein Zehntel der 25-30-jährigen und nur auf etwa jede hundertste junge Mutter im Alter von 20-25 Jahren zu. Mehr als 56% der Mütter zwischen 25 und 30 Jahren und sogar mehr als vier Fünftel der Mütter zwischen 20 und 25 Jahren bekommen höchstens 500 € Elterngeld. Wer sich schon relativ früh im Lebensverlauf für Kinder entscheidet, hat durch die Elterngeldreform das Nachsehen”.
Zu den Konsequenzen für die Familienplanung hieß es damals:
“Sich früh für Kinder entschieden zu haben, ist charakteristisch für kinderreiche Eltern: […] Das Elterngeld setzt einen klaren materiellen Anreiz, die Familiengründung in ein (noch) höheres Lebensalter, möglichst ins vierte Lebensjahrzehnt, zu verschieben. Kinderreichtum wird so nicht begünstigt. Dass der von manchen erhoffte „Geburten-Boom“ durch das Elterngeld ausbleibt, ist nur folgerichtig (7)”.
Auch für diese Einschätzung gab es empirische Evidenz: Die amtliche Statistik zeigte, dass sich der Trend zu einem Rückgang der Geburten unter-dreißigjähriger Frauen nach 2006 beschleunigt fortsetzte. Die Elterngeldreform hat den langfristigen Trend zum Aufschub von Geburten also nicht gebremst, sondern eher beschleunigt (8). Mit diesem Aufschub nimmt aber die Neigung weitere Kinder zu bekommen ab – der von der Welt konstatierte Trend zur „Ein-Kind-Familie“ kommt also nicht überraschend. Sie ergibt sich aus der „Diskriminierung der Einverdienerfamilie“, die von der Politik beabsichtigt und gewollt war, um die kontinuierliche Erwerbstätigkeit beider Partner als Leitbild richtigen Familienlebens durchzusetzen. Gegen diesen Steuerungsanspruch wendet sich die Kommentatorin der WELT, wenn sie der Politik empfiehlt, nicht länger „Familien, bei denen ein Partner auf die Karriere verzichtet“ nicht bloß als altmodische Randerscheinung“ zu behandeln (9). Ob solche Empfehlungen bei der Bundesregierung, speziell dem für Familie zuständigen Ministerium, Gehör finden?
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Anmerkungen
(1) Vgl.: Statistisches Bundesamt: Elterngeld für Väter um etwa 440 Euro höher als für Mütter, Pressemitteilung Nr. 226 vom 26.06.2014, Elterngeld für Väter um etwa 440 Euro höher als für Mütter
(2) Zu Bericht der „WELT“: Elterngeld hat unerwünschte Nebenwirkungen
(3) Siehe hierzu: Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie, Zitat der Woche 36 – 2008, Verlierer sind die Familien, Gewinner Staat und Wirtschaft: Aus der Bundestagsanhörung zum Elterngeldgesetz.
(4) Das Elterngeld – eine Errungenschaft der neuen Familienpolitik?.
(5) Ebd.
(6) Siehe hierzu: iDAF Newsletter Woche 14 – 2009, Vor Einführung des Elterngeldes: Deutliche Warnung an die Politik
(7) Siehe hierzu: iDAF-Newsletter der Wochen 45/46 – 2010,Gescheitert: Warum das Elterngeld sein Ziel verfehlt.
(8) Eingehender hierzu: Stefan Fuchs: Gesellschaft ohne Kinder. Woran die neue Familienpolitik scheitert, Wiesbaden 2014, 336 ff.
(9) Zum Kommentar der „WELT“: Mit dem Elterngeld kommt die Ein-Kind-Familie
Beitrag erschien auch auf: erziehungstrends.net